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Portaitfoto Gangerl Clemens

Der Gangerl – Mit 80 Jahren um die Welt – Aussteigerleben par excellence

1988 begann Gangerl Clemens seine Weltumsegelung. Er ist noch immer unterwegs und denkt gar nicht ans Aufhören.

Seine Mutter gab ihm den Spitznamen „Gangerl“, weil Wolfgang Clemens es schon als Kind nie zuhause ausgehalten hat und immer raus in die Natur wollte. Heute fehlen ihm noch knapp zwei Jahre bis zum runden 80. Geburtstag, doch das Fernweh ist präsent wie eh und je. Über einhundert Länder hat er mittlerweile bereist, hat mehr als 100.000 Seemeilen im Kielwasser und rund 180.000 Kilometer mit dem Rucksack zurückgelegt. Er liebt es Primitivkulturen und Gegenden fernab des Tourismus zu besuchen. Sein Plan für den Seglerruhestand, wenn es mal gar nicht mehr geht: Wieder zurück in die Südsee.

Gangerl Clemens, Jahrgang 1941, ist gelernter Kunstschmied und ein echter Draufgängertyp. 1975 begann er auf dem Hof seiner Firma im Bayerischen Wald mit dem Bau seiner 15 Meter langen und 18 Tonnen schweren Stahlsegelyacht. Nebenbei betrieb er ein gut besuchtes Wirtshaus mit Hotel, wurde zweimal zum Faschingsprinz gekürt, restaurierte Oldtimer und nutzte jede weitere Minute für adrenalinreiche Hobbies. Allerdings verzögerten diese den Start seiner Weltumsegelung, da er beim Drachenfliegen auf Lanzarote aus 20 Metern auf die Felsen knallte und im Altmühltal sogar aus 35 Metern in die Bäume. Nach langen Krankenhausaufenthalten und eisernem Training kam er wieder auf die Beine. Fatale Folgen hatte auch ein Charterurlaub 1981 in Griechenland. 72 Tage musste er mit Freunden unter unsäglichen Bedingungen im Gefängnis verbringen, da sie nicht widerstehen konnten, einige Scherben antiker Amphoren nach dem Tauchen mit nach Hause zu nehmen. „Das war ein dummer Fehler von mir“, gesteht er heute ein. Doch dank der Unterstützung namhafter Politiker und des Medienechos kamen sie vorzeitig frei.

1988 verkaufte Gangerl Clemens all seine Besitztümer, dann begann das Abenteuer „Weltumsegelung“ mit Freundin und Yorkshire-Terrier an Bord. Ab Regensburg ging es donauabwärts durch die derzeit kritischen Balkanländer. „Damals war es noch ein richtiges Spektakel für die Menschen, die uns auf unserer Reise begegnet sind. So viele Segler waren zu dieser Zeit noch nicht unterwegs.“, so Clemens rückblickend. Doch bereits auf Mallorca geriet der Bayer mit seiner Yacht namens „King of Bavaria“ im damals noch patriotischen, weiß-blauen Rautendesign, auf der plakativ das Logo des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II. prangte, in die Schlagzeilen und landete auf der Titelseite der BILD. Einige Jahre später wurde die Yacht in schlichtes „Bavaria“ umgetauft.

Die Atlantikpassage von den Kanaren nach Barbados in 17 Tagen gemeistert, folgte zunächst ein Jahr Karibik, ehe Clemens Richtung Südsee steuerte. Die frisch gebackenen Weltumsegler genossen die Vorzüge des Yachtlebens und damit verbunden die Freiheit, zu traumhaften Atollen mit Paradiescharakter vorzudringen. Die Idylle war perfekt, als sich die Crew ein halbes Jahr in die überaus freundliche Inselgemeinschaft von Nanumea eingefügt hat. Da dort noch nie zuvor eine Segelyacht gesichtet wurde, standen die Gäste im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und des festlichen Geschehens.

Nach vier gemeinsamen Jahren entschloss sich Gangerls Freundin auf Fidschi zu einer Segelauszeit, aus der sie und der Hund nicht mehr zurückkehren sollten. Und somit war der Einhandsegler geboren. Einige Jahre verbrachte er noch in der traumhaften Südsee, dann juckte mehr und mehr die Lust nach Abenteuer. Marinas mied der heute sparsam lebende Aussteiger schon damals. „Wenn ich, wie manch anderer Segler, meine Zeit auf dem Schiff nur in der Marina verbringe, erlebe ich nichts. Das ist verschenkte Zeit und außerdem war mir das immer zu teuer. Nur in Notfällen habe ich meine Yacht in einer Marina geparkt. Ich ankere lieber draußen und stecke mein Geld in ausgiebige Rucksackreisen.“, erklärt er. Und weil er so viel erleben wollte und das tatsächlich auch hat, verließ er recht bald die Barfußroute.

Über Australien sollte es 1993 zu den Aucklandinseln gehen. Dort wollte der Naturliebhaber die heute vom Aussterben bedrohten Gelbaugenpinguine beobachten, die nur in dieser Gegend in großer Population vorkommen. Doch es kam anders. Auf dem Weg in die Subantarktis kreuzte der sechs Tage andauernde und bis dahin wegen seiner Dauer als Jahrhundertsturm geltende Zyklon „Polly“ die Pläne des Einhandseglers. Von 20 Meter hohen Wellen sprach der neuseeländische Sender Radio Keri Keri, der Gangerls Funksprüche empfangen hat und weiter auch von 80 Knoten Wind berichtete. An seiner Segelyacht entstand großer Schaden, als der Mast mehrere Male unter Wasser gedrückt wurde. Angeschnallt und verletzt musste er mit drei Rippenbrüchen einfach abwarten und ließ sich vom 46. zurück zum 39. Breitengrad Richtung Neuseeland treiben. „Ich habe zu Gott gebetet, dass er dieses Inferno beendet und mich überleben lässt.“

Der Schock des ungleichen Kampfes mit den Naturgewalten hielt nicht lange an, die Segel- und Abenteuerlust stieg weiter. Naturvölker und indigene Stämme haben ihn nach eigenen Angaben schon immer interessiert und standen von da an auf seiner Agenda. Über Tonga und Samoa segelte er zunächst nach Vanuatu, um auf der Insel Pentecost die Turmspringer von Bunlap zu besuchen. Später auf den Salomonen, nachdem er ohne Erlaubnis die Ureinwohner Kwaio auf Malaita besucht hat, musste Clemens wieder ins Gefängnis, ehe er die Segel Richtung Neuguinea setzen konnte. Doch auf dem Weg dorthin litt er plötzlich unter Denguefieber und trieb deswegen tagelang handlungsunfähig auf dem Meer herum.
Bei seiner anschließenden Expedition über den Fluss Sepik wurden er und sein Führer auch noch mit Pfeilen und Speeren beschossen, als Eingeborene ihn für einen Hexer hielten. „Da half uns nur Ablenkung und eine schnelle Flucht“, erklärt er sein unbeschadetes Davonkommen. Er besuchte zudem die Kombai und Korowai in Westpapua, die noch heute als die letzten praktizierenden Kannibalen gelten, sowie die Dani, Lani und Yali, drei Urvölker, deren Männer noch heute nur mit Penisköchern bekleidet sind.

Neben dem Besuch von Naturvölkern zählt der Globetrotter auch das Tauchen zu seiner Passion. In Mikronesien hielt er sich deswegen gleich zwei Jahre auf. Er segelte von Atoll zu Atoll und erkundete ausgiebig das Tauchparadies Chuuk, den größten Schiffsfriedhof unserer Erde. Bei seinen bisher über 6.000 Tauchgängen traute er sich auch an die Mund-zu-Mund-Fütterung von Riesenmuränen. Nicht ganz ohne Gefahr, denn er wurde dabei in den Arm gebissen.

Anschließend blieb er zwei Jahre im Inselstaat Philippinen, musste sich aber in der Sulusee mehrmals gegen Piraten verteidigen. Bei der Insel Mapun fand der folgenreichste Überfall statt. Das erste Anlegemanöver misslang den Piraten bei einem Schusswechsel mit dem wehrhaften Bayern, doch nachts enterten zwei von ihnen seine Yacht und zielten mit geladenen Kanonen in den Niedergang. Er erschoss beide ohne zu zögern. Nur die schnelle Flucht nach Borneo rettete ihm vor möglichen Verfolgern das Leben. Als Andenken an das grausame Erlebnis behielt er eine 25 Zentimeter lange Narbe an seinem Unterarm.
Auf Borneo packte der Extremaussteiger wieder seinen Rucksack für Trips über die kulturreiche Insel. Später in West-Kalimantan wurde sein Schiff ausgeraubt, er konnte die diebische Bande aber auf frischer Tat ertappen und verjagen. Doch sie hatten bereits Wertsachen und Bargeld entwendet. „Ich hatte danach die Nase gestrichen voll von den Leuten dort und wollte nur noch weg. Insgesamt habe ich bisher gute zwanzig Überfälle und Einbrüche hinnehmen müssen.“, bedauert Clemens. Doch dann folgte auch gleich der nächste Schreck: Auf dem Weg nach Jakarta hätte er beinahe sein Schiff verloren. Da sein Anker bei einem Tauchgang nicht hielt, wurde es vom Wind davongetragen. Vier Stunden schwamm er mit Krämpfen vergebens hinter seiner Segelyacht her, bis der Wind drehte und sie ihm quasi in die Arme spülte. Seine Reise führte ihn mit den Passatwinden weiter über Sumatra, durch die Sunda Street zum Chagos-Archipel und schließlich zu den Seychellen, wo er mit seiner Bavaria über ein Jahr blieb. Als Ersatzteillieferant für eine Forschungsstation bekam er glücklicherweise eine äußerst seltene Sondergenehmigung für das streng gehütete Tierparadies Aldabra.

An seinem Lieblingskontinent Afrika 1997 angekommen unternahm er einen Trip, der seinesgleichen sucht. Er spazierte und trampte auf dem Landweg zwei Jahre mit dem Rucksack durch fast 30 Länder von Kapstadt bis nach Bayern und legte dabei 52.000 Kilometer zurück. Er bestieg die höchsten Berge des Kontinents, kämpfte sich durch dichte Dschungel und durchquerte karge Wüsten. Dabei litt er fünf Mal an Malaria und einmal an der zumeist tödlichen Malaria tropica. Dieser Trip war aber nicht nur wegen der Krankheiten gefährlich. In Swasiland wurde der Tramp beinahe von Grenzsoldaten erschossen und musste ins Gefängnis, da er für einen Autoschieber gehalten wurde. Später am Turkana-See beraubten ihn Somali-Shiftas um seinen ganzen Besitz.
Unterwegs besuchte er auch zahlreiche Stämme und Primitivkulturen, nur zum Sudan erhielt er keinen Zutritt. Der Sissi-Schauspieler und Stiftungsgründer Karlheinz Böhm verhalf ihm zu diesem Zweck zu einem Arbeitsvisum. Wie schon viele Male zuvor musste Gangerl auch dort im Knast einsitzen. Eine Woche lang ließ er Prügel und Qual durch die Milizen über sich ergehen, da er für einen Spion gehalten wurde. Anschließend schob man ihn nach Ägypten ab. Durch Jordanien, Syrien, Irak und die Türkei ging es schließlich weiter bis nach Bayern.

Nächstes großes Ziel war 2002 der Himalaya. Der neugierige Weltentdecker reiste vier Monate durch Nepal, Bhutan und Tibet, war im Basiscamp des Mount Everest, bestieg einige Sechstausender und erlebte am Khailash am eigenen Leib, was die Höhenkrankheit ist. Bei der Annapurna-Umrundung hatte er zudem großes Glück, da sein Pferd wegen einer Landlawine knapp einhundert Meter tief in eine Schlucht stürzte.

Zurück auf seiner Yacht verbrachte Wolfgang Clemens einige Jahre mit Charter-Touren an der ostafrikanischen Küste, ehe er zum insgesamt vierten und letzten Mal die Segel zu den Seychellen setzte. Er hatte gerade Gäste an Bord, als der Super-GAU in seinem Seglerleben eintrat: Kenterung. 2007, vor der kleinen Insel Marianne, riss im Sturm die Ankerkette, weswegen seine Bavaria auf einem Riff strandete. Unzählige Befreiungsversuche schlugen fehl, wodurch in Seitenlage das Schiff voll lief. Der Kapitän musste es aufgeben, verlor sein Heim und seinen hart erarbeiteten Lebenstraum. Er war am Boden zerstört, doch er hat nicht aufgegeben. Denn wie es der Zufall wollte, entdeckte er in Mahé eine gebrauchte Segelyacht mit 11 Metern Länge, die er von seinem letzten Ersparten erwarb. Nach dreimonatiger Umbauzeit war das Schiff mit dem neuen Namen „Bavaria II“ aufgemöbelt und hochseetauglich.
Als Ablenkung zu den ganzen Strapazen reiften in dem entdeckungshungrigen Bayern neue Abenteuerlüste. Nach halbjähriger Vorbereitung bereiste er 2009 die Seidenstraße und durchstreifte auf seinem Trip unter anderem Usbekistan, Kirgistan und China. In Pakistan war er im Basislager des Nanga Parbat und hatte nach Einladungen der Hunza zu ihren Familien hautnahen Kontakt zu den Taliban.

Gangerl hatte nun auch genug von Afrika und entschloss sich, dem schwarzen Kontinent den Rücken zuzuwenden. Er segelte über Madagaskar, die Malediven, Sri Lanka und Indonesien nach Thailand. Natürlich unternahm er auch in Südostasien wieder etliche Touren und bereiste Laos, Kambodscha, Vietnam und große Teile Chinas. In der Mongolei lebte er bei den Nomaden und durchkreuzte auf Pferd und Kamel die Wüste Gobi sowie die Bergregionen. Sämtliche Sehenswürdigkeiten standen auf seinem Plan, ehe er mit dem Sibirien-Express über Moskau nach Bayern reiste.
Zu seinem 70. Geburtstag gönnte sich der Globetrotter eine Intensivreise nach Myanmar. Er war beim buddhistischen Thingyan-Fest, das burmesische Neujahr, und konnte miterleben, wie sich die Menschen auf den Straßen bis zur kompletten Überflutung ausgelassen den Wasserschlachten hingaben. Zudem erkundete er das Shan-Gebirge in der Nähe von Keng Tung und war mal wieder ohne offizielle Genehmigung bei einigen Bergvölkern. Die zahlreichen Pagoden und buddhistischen Anlagen brachten ihn genauso ins Staunen wie die religiöse Hingabe der Bevölkerung.

Mit dem Rucksack erkundete Clemens schließlich auch die paradiesische Insel Sri Lanka und reiste weiter nach Indien. Zwei Monate durchstreifte er das Land mit seinen enormen Distanzen, besuchte Bergvölker und Nationalparks. In der Zwischenzeit besichtigte er alle Highlights, die auf seiner Strecke von neuntausend Kilometern lagen. In Varanasi, der spirituellen Hauptstadt Indiens, bezahlte er dem Wächter des Totenhauses eine ordentliche Summe Schmiergeld, um ausführlich und heimlich vom Dach aus die Verbrennung der Toten an den Ghats zu filmen. Seine Reise endete beim Tempel des Dalai-Lama in Dharamsala.

Wieder zurück auf seinem Schiff blieb Gangerl ganze acht Jahre in seiner neuen Wahlheimat Thailand. 2014 platzte wegen zu hoher Marcumar-Dosierung eine Ader in seinem durch Ärztepfusch vermurksten Bein. Nur seinen Chartergästen verdankt er sein Leben, denn alleine an Bord wäre er bewusstlos innerlich verblutet. In den folgenden Jahren segelte der Kapitän zwei Mal die Malakka Street entlang, zuletzt bis in den Golf von Thailand. Er erkundete mit dem Rucksack mehrere Monate Malaysia, Indonesien und Borneo, unternahm mehrtägige Dschungeltrips, bestieg Vulkane und besuchte alte Stammesvölker mit ihren grausigen Hinrichtungsstätten.

Als Resultat seiner jahrzehntelangen Reisen zählt Wolfgang Clemens bis 2019 kilometermäßig schon fast neun Weltumrundungen. Ganz ohne Flugzeug. In über einhundert Ländern, die er bereits besucht hat, konnte er unzählige Abenteuer erleben und ist dabei häufig nur knapp mit dem Leben davongekommen. Seine Abenteuerlust ist ungebremst, deswegen macht er sich auch heute noch auf die Suche nach teils unbekannten Paradiesen und Primitivkulturen. In den nächsten Jahren will der Aussteiger Indonesien weiter erkunden und anschließend wieder in die Südsee segeln.

Gangerls Tagebuch VLOG

Comments:

  • Ute

    6. Mai 2020

    Wahnsinn, was für eine Geschichte

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  • Mia

    6. Mai 2020

    Kanne ihn noch nicht. Danke für diesen Beitrag

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  • Uwe

    6. Mai 2020

    Beeindruckend!

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  • Matthias

    6. Mai 2020

    Unglaublich was man in einem Leben alles erleben kann. Ganz großes Kino.

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  • Georg

    8. Mai 2020

    Sehr spannende Geschichte. Das Buch werde ich lesen.

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